Erinnerung an ein beachtliches Papier und die Notwendigkeit seiner Weiterentwicklung
Koblenz, 21./22.04.2021
Ökumene wird als Blick auf die Probleme verstanden, die sich auf dem ‚Erdkreis‘ als dramatische Menschheitsprobleme zusammenballen. Diese Perspektive stark gemacht zu haben, darin liegt die Bedeutung der vor zwanzig Jahren, am 22. April 2001, verabschiedeten „Charta Oecumenica“. Sie versteht sich als „Leitlinien für die wachsende Zusammenarbeit unter den Kirchen in Europa“. Das Ökumenische Netz Rhein-Mosel-Saar erinnert an dieses Papier, weil es den Blick über rein innerkirchliche Fragen hinaus öffnet. Kirchen, die in ihren Krisen zunehmend um sich selbst und ihre Selbstbehauptung kreisen, weist es den Weg zu den Aufgaben, zu denen die Kirchen gesandt sind. Glaube und Sendung sind so miteinander
verbunden, dass sie nur verstanden und gelebt werden können angesichts der sich zuspitzenden weltweiten Überlebensprobleme der Menschheit, die jetzt und lange schon Menschen in Armut und Tod treiben und immer mehr die Grundlagen allen Lebens zerstören.
Im ersten Teil der Charta geht es um die Gemeinsamkeiten im Verständnis des Glaubens und die darin gründenden Möglichkeiten der Begegnung und des gemeinsamen Handelns. Im zweiten Teil wird deutlich in welchen politischen, ökonomischen, ökologischen und kulturellen Zusammenhängen dies geschehen muss. Genannt werden: Nord-Süd-Gefälle,
Eurozentrismus und vor allem Nationalismus, die „Versöhnung … für Völker und Kulturen“, „soziale Gerechtigkeit“, eine „Friedensordnung“, der „Prozess der Demokratisierung“, die Bewahrung der Schöpfung, die christlich-jüdische Zusammenarbeit und der Dialog mit dem Islam sowie anderen Religionen.
Damit hebt sich die „Charta“ wohltuend von einem Verständnis von Ökumene ab, das auf innerkirchlich-konfessionelle Probleme reduziert bleibt. Es wird einem Begriff von Ökumene gerecht, der die Thematisierung der den ganzen ‚Weltkreis’ betreffenden Menschheitsprobleme umfasst und dabei – entsprechend der biblisch begründeten Option für die Armen – die Solidarität mit den Armen und Ausgegrenzten betont.
Dennoch wäre die „Charta“ an einem wesentlichen Punkt weiterzuentwickeln. Sie greift nämlich da zu kurz, wo sie Probleme zwar benennt, sie aber nicht im Zusammenhang auf ein Ganzes bedenkt, dem der Globus und die einzelnen Gesellschaften unterworfen sind: dem Kapitalismus. Er hat sich als ein weltumgreifendes System etabliert, das durch den Zwang aus
Kapital mehr Kapital zu machen und den davon abgespaltenen, an Frauen delegierten und minderbewerteten Reproduktionstätigkeiten bestimmt ist. Dieses System, dessen Grundlage Arbeit ist, stößt mit der schwindenden Bedeutung ausbeutbarer Arbeit immer mehr an seine Grenzen und entfaltet eine Dynamik der Zerstörung, die immer mehr Menschen in Armut und Tod treibt und die natürlichen Grundlagen allen Lebens zu zerstören droht. Den Kapitalismus als tödlichen Götzen und die kapitalistischen Verhältnisse als Fetischverhältnisse zu kritisieren und mit dem Kapitalismus zu brechen, darin sieht das Ökumenische Netz die gegenwärtig zentrale Herausforderung der Ökumene.
Dies würde auch vor der folgenlosen Anrufung von Menschenrechten und Demokratie schützen wie sie auch heute – gerade in deren Niedergang – allenthalben zu hören ist. Zum einen wirken sie in ihren gleichsam zeitlosen Idealisierungen als ‚schlechte Unendlichkeit‘. Das Ideal kann nie erreicht und daher ‚unendlich‘ angerufen werden, während die Katastrophe
ihren Gang geht. Zum anderen wäre zu erkennen, dass auch Demokratie und ihre Rechtszusammenhänge Fetische sind, die mit dem Kapitalismus einhergehen und ihn samt dem Denken der Aufklärung legitimieren. Nicht an diesen Götzen festzuhalten, sondern sie zu transzendieren würde dem Gottesnamen und dem mit ihm verbundenen Versprechen der Befreiung von Herrschaft gerecht werden und wäre Aufgabe von Kirche(n) und ÖkumeneBewegungen.
gez.
Vorstand und Geschäftsführung des Ökumenischen Netzes Rhein-Mosel-Saar e.V.